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Zitat Der Standard vom 06.01.2024:

"Guntschach ist ein Dorf mitten in Österreich und doch abgeschnitten vom Rest der Welt. Am 15. Dezember 2022 zerstörte ein Felssturz die einzige Straße nach Guntschach. Die Straße hätte sich bald sanieren lassen, aber die Durchfahrt neben dem Felsen blieb gefährlich, sie ist bis heute verboten.

Zunächst wurde ein Notweg errichtet, auf ihm konnten die Bewohner langsam und auf eigene Gefahr entlang der Drau aus dem Dorf rumpeln. Im August, bei den Hochwassern in Kärnten, schwemmte ein Erdrutsch diese letzte Fahrbahn der Bürger in den Fluss. Keine Straße zu haben macht das Leben schwer: den Weg zur Arbeit, zum Einkaufen, zu Freunden. Es macht das Leben auch unsicher, weil in Notfällen Hilfe wohl zu spät kommt. [...]

Das kleine Guntschach stellt Politik und Verwaltung vor große Fragen. Wie viel kann eine Gemeinde von den Bürgern verlangen und wie viel die Bürger von ihrer Gemeinde?

Eine Gemeinde ist die kleinste Verwaltungseinheit im Staat. Seit 13 Monaten haben die Bewohner in Guntschach keine vernünftige Straße. Haben sie nicht recht, wenn sie auf die Wiederherstellung der Straße und damit ihres alten Lebens drängen? Oder wiegen die Argumente des Bürgermeisters schwerer, der auf die begrenzten Möglichkeiten einer Gemeinde wie Maria Rain mit 2.700 Einwohnern hinweist?

Derzeit können nur Fußgänger ins Dorf gelangen – mit einer Fähre oder über einen Steig, den ein paar Guntschacher selbst durch den Wald gefurcht haben. Ohne Hilfe der Gemeinde haben die Bürger den Steig an zwei Wochenenden ins Gehölz geschlagen, mit Hauen und Schaufeln, dann Stufen aus Fichtenholz gezimmert und Seile zwischen Bäumen gespannt. [...]

Obwohl es Ersatzquartiere in Maria Rain und in einem Sporthotel in Ferlach gäbe, wollen die Leute nicht aus ihren Häusern. Selbst jene, die wegen ihrer Schulkinder unter der Woche im Sporthotel leben, kehren am Wochenende durch den Wald oder mit der Fähre zurück und heizen und putzen ihre Häuser. [...]

Mit dem Erdrutsch im August schlittert das Dorf vollends in die Katastrophe. Das Bundesheer schickt eine Fähre mit 50 Tonnen Tragfähigkeit und ein kleines Boot, die das Dorf für ein paar Wochen versorgen. Die Soldaten verschiffen Lkws und schweres Gerät, chauffieren aber auch Guntschacher mit ihren Einkaufssackerln. Am 7. September endet der Einsatz, das Bundesheer verlässt Guntschach, die Probleme bleiben. [...]

In Guntschach machen die Bürger inzwischen vieles selber, was in den meisten Orten die Gemeinde übernimmt. Sie schippern ihren Müll mit der Fähre über die Drau oder tragen ihn durch den Wald. Im November übernahmen sie die Schneeräumung, statt des Schneepflugs der Gemeinde fuhr ein Bewohner mit Traktor und Heckschaufel los. Ein anderer kaufte sich ein Boot, groß genug, um auch eine Waschmaschine über die Drau zu bringen. In Guntschach wird viel gearbeitet und wenig drüber geredet.

Bürgermeister Ragger könnte dankbar für solche Bürger sein, aber er klingt nicht dankbar: »Das ist Eigenverantwortung. Das ist leider so im Leben, hilft nix.« Er wirft den Betroffenen Ungeduld, ja Skrupellosigkeit vor. Man muss wissen: Bei ähnlichen Baggerarbeiten wie in Guntschach sind im Vorjahr in Oberösterreich zwei Bauarbeiter gestorben. [...]

Guntschach führt vor Augen, wie das ist, wenn die Dreifaltigkeit aus Bund, Land und Gemeinde die Dinge nicht mehr reparieren kann, zumindest nicht kurzfristig.

In der Schweiz schlägt die liberale Denkfabrik Avenir Suisse für »potenzialarme«, also abgelegene Dörfer wie Guntschach bereits Absiedelungen vor. Das wird in dem Dorf in Kärnten nicht geschehen, jedenfalls nicht freiwillig. Die Menschen dort sind tief verbunden mit ihren Häusern und ihrer Landschaft.

Guntschach kann man auch als Blaupause für andere Orte verstehen, die einmal von ähnlichen Naturkatastrophen heimgesucht werden. Auch wenn Raumplaner vielleicht gut argumentieren können, eine Ortschaft aufzugeben oder abzusiedeln, wird das in Österreich wohl selten geschehen. Das Vorhaben würde oft an der gesellschaftlichen Wirklichkeit zerschellen. [...]

Dabei werden Extremwetter und Naturkatastrophen in Österreich wegen des Klimawandels zunehmen. Es gibt schwerere Hochwasser und mehr Hangrutschungen, wie man in der Wildbach- und Lawinenverbauung bestätigt. [...]

Selbst wenn der Felsen abgetragen und die Straße saniert sein wird, wird Guntschach nicht alle Probleme los sein. Der sogenannte Tumpelgraben, durch den ein Bach fließt, birgt Gefahren wie Hochwasser und Verklausungen. Die WLV will die Verbauung des Tumpelgrabens zwar bald angehen. Die Guntschacher aber sind beunruhigt: Je mehr Häuser oben in Göltschach noch den Boden versiegeln, umso mehr Wasser fließt zu uns runter, sagen sie.

Bürgermeister Ragger, der eigentlich keine Termine mehr nennen will, hält am Telefon dann doch für möglich, »dass der Felsen bis März abgetragen sein wird, falls nichts Unvorhersehbares passiert«. Er sagt: »Dann wird die Bevölkerung sich wieder beruhigen.« Mit der Straße soll der Friede kommen. Mal schauen, ob der Bürgermeister diesmal recht behält. [...]"

https://derstandard.at/story/3000000201432/mitten-in-oesterr...
Quelle: derstandard.at


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